Tag 9 Countdown Reality Check bAV-Zuschuss 2021

“Es war einmal …”

So beginnen Märchen und die arbeitgeberfinanzierte betrieblichen Altersvorsorge vor zweihundert Jahren.

Bekannt sind erste Unterstützungskassen bereits um 1830. Ohne mich im Detail verlieren zu wollen (denn hier geht es um die Arbeitgeberbeteiligung an bAV), ist einer der wesentlichen Unterschied, wer die Sache finanziert hat, nämlich zu 100 % der Arbeitgeber!

Seit 1974 wird der kleine Mann für das Versagen politischer Renten-Unfähigkeit zur Kasse gebeten

Er muss nämlich den Ausgleich der Rentenlücke aus seiner Tasche finanzieren.

Unter der damaligen Koalition aus SPD und FDP wurde die Direktversicherung eingeführt. Ich erinnere mich, dass damit Arbeitern (und zwischenzeitlich auch Angestellten) ermöglicht werden sollte, ein den Staatsdienern entsprechendes Versorgungsniveau zu erreichen.

Wer hat’s bezahlt? 100 % die Arbeitnehmer.

Mehr zur Geschichte der gesetzlichen Rentenversicherung können Interessierte hier nachlesen.

Seit 2002 haben alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Rechtsanspruch auf Bruttoentgeltumwandlung. Wir halten noch einmal fest wer’s bezahlt: 100 % der Mitarbeiter.

Jetzt werfen wir noch einen Blick darauf, wer von der Entgeltumwandlung profitiert: Der Mitarbeiter (weil er steuerfrei und sozialversicherungsfrei Altersvermögen aufbauen kann, das er erst nachgelagert zu versteuern und verbeitragen hat) und der Arbeitgeber. Der zahlt nämlich auch nur noch Sozialversicherung auf das um den Umwandlungsbetrag reduzierte Brutto.

Das bedeutet, der Arbeitgeber kann sich bis heute von der Eigenverantwortung seiner Mitarbeiter in Sachen Altersvorsorge (wenn sie denn die Bruttoentgeltumwandlung nutzen) eine dicke Scheibe Käse mehr auf sein abendliches Butterbrot legen.

Kann er, muss er aber nicht. Es stand und steht dem Arbeitgeber schon immer frei, seine Einsparungen an den Mitarbeiter weiterzuleiten (damit mehr Rente draus wird) oder noch eine Scheibe obendrauf zu packen (damit sich die Sache auch wirklich lohnt).

Offensichtlich gab und gibt es genügend viele Betriebe, die sich die zusätzliche Scheibe Käse auf dem Abendbrot bis heute gönnen. Denn anders ist es nicht zu erklären, weshalb Frau Nahles mit dem BRSG die Betriebe verpflichtet hat, die Ersparnis weiterzuleiten. Nicht ganz, aber immerhin den größten Teil. Seit 2019 für neue Entgeltumwandlungsvereinbarungen und ab 2022 auch für alle Altverträge.

Eines hat Frau Nahles jedoch völlig übersehen (und ihre Berater auch), dass es schon viele Arbeitgeber gab, die ihre Einsparung gerne an die Mitarbeiter weitergegeben haben. Aber das ist heute nicht mein Thema.

Fast 50 Jahre hat es gedauert, um weg von der ausschließlich mitarbeiterfinanzierten Altersvorsorge, hin zu einer mindestens kleinen Arbeitgeberbeteiligung zu kommen.

Seit 1974 der Mitarbeiter die bAV zu 100 % aus seinem Brutto finanzierte (oder in Schicht 3 alles aus dem Netto) mussten fast 50 Jahre vergehen, bis die Betriebe, die Arbeitgeber, verpflichtet wurden, sich an der Finanzierung der betrieblichen Altersvorsorge zu beteiligen. Und wir sprechen heute von einem

Verhältnis von 85 % Arbeitnehmer- zu 15 % Arbeitgeberanteil

In der Praxis sehen wir aber auch ganz anderes: Unternehmen, die ihren Mitarbeitern freiwillig eine echte Betriebsrente finanzieren oder sich mit einem hohen Anteil an der Beitragszahlung beteiligen.

Tarifverträge haben seit Beginn der 2000-er Jahre die Arbeitgeber und Unternehmen immer mehr in die Pflicht genommen, die Finanzierung mit zu übernehmen. In kleinen und mittleren Unternehmen sind Tarifbindungen jedoch vergleichsweise selten anzutreffen. Und genau dort scheint die betriebliche Altersvorsorge überhaupt noch “Mangelware” zu sein.

Anders als zum Beispiel in den Niederlanden, wo es zum guten Ton gehört, die betriebliche Altersvorsorge anzubieten und zu nutzen, sind trotz 20 Jahren großer politischer Anstrengungen, fast die Hälfte aller, von der unzureichenden gesetzlichen Rente Betroffenen, nicht mit bAV ausgestattet. 56% nutzen die bAV (mit einem viel zu geringen Beitrag von gut 100 €/Monat - siehe Altersvorsorgebericht 2020) aber

44 % nutzen die bAV überhaupt nicht!

Ob ein Obligatorium, wie es in vielen Industrieländern von Neuseeland bis England schon seit Jahren eingeführt wurde, noch zu verhindern ist, ist zu bezweifeln.

Ganz sicher dürfte aber sein, dass die Finanzierung eines Obligatoriums die Arbeitgeber weitaus teurer zu stehen kommen dürfte als 15% auf eine Entgeltumwandlung bis maximal 4% der BBG.

Egal aus welcher Motivation heraus ein Unternehmen sich Gedanken über seine Beteiligung an der Altersversorgung seiner Mitarbeiter macht, diese Betrachtung sollten die Entscheider kennen.

Cordula Vis-Paulus