Lernt das BRSG laufen?
Die Zahl des Tages: 792
2 Jahre + 2 Monate + 2 Tage = lernt das BRSG laufen?
9.9.2019
Vor 792 Tagen wurde das BRSG beschlossen: Angetreten, mit der bAV mehr Arbeitnehmern aus KMU eine Zusatzrente zu verschaffen und Arbeitgebern die Angst vor unkalkulierbaren Nachschussrisiken zu nehmen, garantiefreie Produkte die mehr Aktienanteil und damit höheren Wertzuwachs ermöglichen sollen und Zuschüssen für Geringverdiener mit Liquiditätsgewinn für den Arbeitgeber.
Soweit der Plan.
Pay and forget sollte Erleichterung für Arbeitgeber bringen, bisher ist zu bemerken „forget it“ (weil sie bisher nur in der Theorie existiert, die Beitragszusage)
Noch mehr Niedrigzins, drohender Provisionsdeckel & Aufklärungsschreiben des BMF wie das BRSG gemeint gewesen sei, lassen das BRSG nur langsam in Schwung kommen. Der Pflichtzuschuss schmeckt nicht wirklich, regt aber im Jahr 2 post BRSG-Inkrafttreten zum Nachdenken an.
Sind seit dem 1.1.2018 bzw. 1.1.2019 mehr Arbeitnehmer in KMU mit bAV zusatzversorgt?
KMU Arbeitgeber: „2018 haben mich ihre Kollegen schier überrannt – wegen des BRSG. Ich lasse mich von niemandem unter Druck setzen. Es wird nicht so heiß gegessen wie es gekocht wird. Ich habe mich erstmal ganz entspannt nach hinten gelehnt und abgewartet. So, sehen Sie, jetzt haben wir 2019 – es ist immer noch nichts passiert. Aber jetzt würde ich mich schon mit dem Thema beschäftigen. Irgendwie scheint ja etwas dran zu sein. Zum 1.1.2020 überlege ich, ein neues Konzept einzuführen.“
Diese Aussage eines KMU-Geschäftsführers steht stellvertretend für die Haltung vieler Arbeitgeber.
Bisher sind mir keine überragenden Neuabschlussquoten bekannt geworden.
Wie steht es um die Angst der KMU-Arbeitgeber um Haftungsrisiken?
Es gibt sie nicht, die Angst vor den Nachschussrisiken! Diesen Schluss legen zumindest die grob fahrlässigen Verhaltensweisen nahe, wenn ich sehe, welche bAV-Verträge auch heute noch gängig gegengezeichnet werden. Beratungsfehler die jenseits des Vorstellbaren sind, fehlende Dokumentation, immer noch selten Entgeltumwandlungsvereinbarungen. BOLZ mit Treuhänderklausel und ohne Versorgungsordnung (die einen dynamischen Verweis auf die Versicherungsvertragsleistung herstellen könnte) und auch das ohne jede Dokumentation. Typische Verträge, deren Fehler vermeidbar wären, würden sie von Experten beraten. Die Ahnungslosigkeit der KMU-Arbeitgeber ist erschreckend. Die Verpflichtung zum Nachschuss ist näher als Risiko. Unerkannt geblieben ängstigt es wenigstens nicht.
Froschkönig und der Zins
Rotkäppchen und die Aktienvorsorge
Ohne Garantie oder mit Garantie – es kommt bis heute auf´s Gleiche heraus: Das Sozialpartnermodell ist noch kein einziges Mal installiert. In KMU`s erst recht nicht weil die seltener tarifgebunden sind. Also sind überall Garantien eingebaut. Was der deutschen Anlegermentalität durchaus nahe kommt. Wobei ich mich durchaus frage, ob es klug ist, einem Berufsanfänger eine klassische Rentenversicherung zu empfehlen – mit mehr Kosten als Garantiezins. Und der fehlenden Prognose auf Wertzuwachs - “dank” Niedrigzinsphase, die noch viele Jahre für fehlende Zinsen UND fehlende Zinseszinsen sorgen wird. Aber auch Hybrid-, Wertsteigerungstöpfe, und andere Anlagemodelle die schwer verständlich sind, weisen keine oder nur eine magere Aktienquote auf.
Aktienquote existiert de facto in der Breite nicht ausreichend. (Bei post-BRSG Vertragsbeginn und leider auch bei vielen Modellen nicht, die bereits vor dem BRSG begannen.)
Geringverdiener-Bonus
Da der absetzbare Arbeitgeberanteil zusätzlich zum Pflichtzuschuss ins Geld (und die Verwaltung) geht, ist die Akzeptanz seitens der Arbeitgeber um die 0-Linie herum. Weil die Produkte gezillmert sind und daher keine Abschlussprovision bringen ist der Vermittlungsanreiz um die 0-Linie herum. Weil die 100%ige Kapitalisierungsmöglichkeit fehlt, ist das Interesse seitens der Belegschaft um die 0-Linie herum.
Ich habe kein KMU kennengelernt, das die Geringverdienerrente eingeführt hat oder die Einführung plant.
Pay & Forget: Das Produktlager ist voll, Käufer fehlen.
Provisionsdeckel: Wie Loch Ness - taucht auf, taucht ab.
Pflichtzuschuss – Der Schuss zur Pflicht
In manchen Geschäftsführungsetagen wird oder wurde der Schuss gehört und über ein sinnvolles Betriebsrentenmodell ernsthaft nachgedacht. Wobei höhere Arbeitgeberbeteiligungen durchaus dem Bewerbermarkt und der gerne aufgemöbelten Reputation des Arbeitgeberimages geschuldet sind. Aber sei´s drum. In der Breite wird der Aufbau von Altersvermögen unterstützt, und zwar mit (oft deutlich) mehr als 15%. Seit der BRSG-Verabschiedung habe ich in vielen Betrieben bAV mit sehr hohen Zuschüssen einführen können. Ich habe Chefs kennengelernt, denen die Mitarbeiterversorgung ein wirkliches Anliegen ist. In diesen Unternehmen ist die Nutzungsquote mit nahezu 100% beispielhaft.
Danke, BRSG!
Eigentümlich mutet die Vorstellung an, dass der Pflichtzuschuss noch auf einen bereits gewährten Zuschuss on top zu zahlen sei.
Arbeitslos wird auch das BMF nicht, allein weil zu klären ist, wie es sich denn nun mit dem Pflichtzuschuss bei vL verhält. Unter uns, ich vermute, dass es dazu eine Vielzahl an praktischen Lösungsansätzen in den Lohnbuchhaltungen gibt.
Das BRSG sollte die bAV in KMU`s stärken, hat es jedoch versäumt dort praktikable Lösungen anzubieten. Noch immer sind mehr als 40% der Arbeitnehmer NICHT zusatzversorgt. Eine eindrucksvolle Studie von Willis Towers Watson aus 2018 schlüsselt diese auf: Die meisten sind in KMU`s und davon wieder viele mit unterbrochenen Erwerbsbiografien, wovon viele in Teilzeit arbeiten. (Deshalb dort die hohe Geringsverdienerquote!) DEREN Altersarmut beschreibt Prof. Irene Götz in dem Sachbuch „Kein Ruhestand“ (erschienen 03-2019 Kunstmann Verlag). Ein Großteil der nicht Zusatzversorgten trägt die gesellschaftliche Verantwortung mehrfach: als Mütter gebären Rentenzahler und ziehen sie zu Lasten ihrer eigenen finanziellen Situation (in Teilzeit) heute UND später (teilweise Entgeltpunkte ergeben eine Teilzeitrente für 24 Stunden-Tage an 7 Wochentagen 52 mal pro Jahr – bis zum Lebensende) groß, sie sind in den allermeisten Fällen diejenigen die auch die Pflege der Älteren übernehmen.
Ein seither wenig nachgefragter Punkt aus dem BRSG sei hier erwähnt: Nachzahlungen in die bAV z.B. nach Elternzeit! In Zeiten des Personalmangels könnte ein „Welcome-back“ - Paket für eine Elternzeitrückkehrerin (oder Rückkehrer) eine Nach/Einzahlung in die betriebliche Altersversorgung beinhalten. Damit aus einer unterbrochenen Erwerbsbiografie keine Teilzeit-Betriebsrente wird.
Haltungsnote
Zum Schluss komme ich auf die innere Haltung zu sprechen. Einem Unternehmen, dessen innere Haltung gute Mitarbeiterversorgung als Selbstverständlichkeit lebt, wird es gelingen, die Belegschaft auch für die 2. Lebenshälfte fit zu machen und sie zu finanzieller Vorsorge anzuleiten. Unternehmen, die um die positive Wirkung von Sicherheit auf ihre Mitarbeiter wissen, werden die betriebliche Altersversorgung als roten Teppich für langfristige Sicherheit, für gegenseitiges Vertrauen ausrollen. Der rote Teppich vom Schreibtisch bis zur Rente heißt betriebliche Altersvorsorge. Auf diesem roten Teppich bietet der Arbeitgeber seine Hand und Begleitung – in guten wie in schlechten Tagen. Für ein langes, schönes Leben.
Dieses Unternehmen wird alle begleitenden kommunikativen Maßnahmen zielführend planen und in allen Hierarchieebenen einsetzen.
Wahre Werte
Wertschätzung und sinnstiftende Arbeit sind zwei wesentliche Faktoren für Mitarbeitertreue. Authentizität und echtes Interesse am Mitarbeiter sind nicht käuflich erwerbbar. Die betriebliche Altersversorgung ist durch ihren außerordentlichen Zeithorizont und ihre Wichtigkeit ausgezeichnet geeignet, Wertschätzung Form und Zukunft zu verleihen.